Victoria Lorenz. Vildvuchs. München. Urbane Pflanzensammlerin | Kräuterpädagogin.


Ein Portrait von Monika Ebert ©Bild ©Text.

FEMALE MAKERS: Brennnessel im Stadtpark. Eine schmackhafte, einheimische Pflanze mit Vitamin C und vielen Mineralien wie Eisen, Kalium und Magnesium.

FEMALE MAKERS: Brennnessel im Stadtpark. Eine schmackhafte, einheimische Pflanze mit Vitamin C und vielen Mineralien wie Eisen, Kalium und Magnesium.

 

“EINE WILDE SEELE IN DER STADT…”

… so bezeichnet sich Victoria Lorenz auf ihrer Website www.VILDVUCHS.de. Ich erlebe die junge Frau, Jahrgang 1990, bei unserem ersten Telefonat offen, energiegeladen und sehr charmant. In unserem langen Gespräch später zeigt sich ihre tiefe Leidenschaft, Ernsthaftigkeit und Freude für das, was sie tut: Menschen ihr großes Wissen über Pflanzen und ihre Liebe zur Natur zu vermitteln. Das macht sie mit ihrer geballten Kreativität. Victoria Lorenz sammelt Kräuter, „Unkraut“, Blüten, Baumteile, Früchte, Pilze, Gräser und vieles mehr, was die Natur uns bietet. Das macht die junge Kräuterpädagogin und Gesundheitsmanagerin direkt in der Stadt, in München, wo sie lebt. Sie kennt die Orte, an denen etwas Interessantes wächst, das schmeckt, guttut und sogar heilt. Und sie weiß, was man aus all diesen Geschenken der Natur, die es auch im Stadtraum gibt, machen kann. Ob roh genießen, fermentieren oder trocknen, ob als Tee oder Sirup, ob als Beilage, Hauptgang oder Aroma. Als begnadete Köchin vermittelt Victoria Lorenz neben Pflanzenwissen auch Rezepte zu ihren kulinarischen Kreationen und zeigt den Kursteilnehmer*innen die Zubereitung dessen, was vorher gesammelt wurde. Die Kreative editiert Kochbücher, macht exzellente Fotos von allem, was sie tut, und mit einem Bekannten zusammen ihre Videos. Victoria Lorenz ist eine Ästhetin.

BERUF(UNG) NATUR.

Victorias Zuhause hat ihr den Weg in die Natur bereits geebnet, wie sie meint. Die Mutter – eine der frühen Vegetarierinnen – ist sehr naturverbunden und war mit ihrer Tochter viel draußen unterwegs. Ihre Großmutter lebte in einem Haus mit großem Garten. Sie pflanzte, erntete, kochte ein, fermentierte und Victoria Lorenz erzählt begeistert vom umfangreichen großmütterlichen Vorratskeller. Doch der entscheidende Impuls für ihren beruflichen Weg war eine persönliche Krankheitsphase, in der sie – überdrüssig der Nebenwirkungen ärztlicher Medikation, die nie zur wirklichen Heilung führte – irgendwann die Kraft der Natur für sich entdeckte. Victoria Lorenz war erstaunt, dass ihr Pflanzen wie Salbei oder Holunder halfen zu heilen und zudem fast um die Ecke zu finden waren. Einfache „Hausmittel” aus der Natur führten sie in kleinen Schritten zu nachhaltiger Gesundheit, ganz ohne Nebenwirkungen. Diese Erfahrung setzte den Impuls für ihr Studium „Integrative Gesundheitsförderung“, das sie nach Coburg führte. 

LERNEN, LERNEN, WEITER LERNEN.

Parallel zu ihrer Bachelorarbeit zum Thema „Darmbakterien und Übergewicht“ machte Victoria Lorenz eine Fortbildung zur Kräuterpädagogin bei der renommierten Biologin, Autorin und Pflanzenpädagogin Karin Greiner, die auch eines ihrer Vorbilder ist. Zudem arbeitete sie damals, zurück in München, parallel zur Fortbildung in einem der bekannten Bio-Kräuterläden der Stadt. Hier konnte sie sich austauschen, Kund*innen beraten, bekam wichtiges Feedback, wie Kräuter wirken können und erprobte vieles, was sie bisher in der Theorie gelernt hatte.

Schon während ihrer Fortbildung zur Kräuterpädagogin in Bad Tölz hatte Victoria Lorenz den Entschluss gefasst, dass sie in diesem Bereich beruflich arbeiten möchte. Und zwar trotz der Hinweise ihrer Ausbilderin, dass man von der Kräuterpädagogik alleine nicht existieren könne. Victoria Lorenz beschloss, auf moderne Art und Weise ihrer eigenen Generation Pflanzen- und Gesundheitswissen zu vermitteln.

Aber die abgeschlossene kräuterpädagogische Fortbildung und der Bachelor in der Tasche reichten der kreativen, wissbegierigen jungen Frau noch nicht. Sie wollte mehr. Durch die eher zufällige Bekanntschaft mit einer englischen Food-Event-Crew, die große Veranstaltungen organisierte, kam ein weiterer Impuls: in Richtung Event zu denken und zeitgemäße Veranstaltungsformate zu entwickeln. Daraufhin wollte Victoria Lorenz ihr Know-how in diesem Bereich erweitern und absolvierte ein Event-Praktikum in Berlin.

PFLANZENWISSEN. GESUNDHEITSWISSEN. EXISTENZ.

Heute erlebt Victoria Lorenz an sich und auch bei Kolleg*innen aus der Szene, dass man zwar (s)eine Nische in der Kräuterpädagogik finden muss, sich aber durchaus in diesem Bereich eine Existenz aufbauen kann. Das zweite Standbein von VILDVUCHS ist die Arbeit in einer deutschlandweiten Akademie für ganzheitliche Gesundheitsbildung. Hier ist Victoria Lorenz für die Organisation der Ausbildungen zuständig.

Das Gesundheitswissen aus der Studienzeit ist für die Kräuterpädagogin zentrale Grundlage ihrer Arbeit bei VILDVUCHS. Aspekte wie Achtsamkeit, gesunde Ernährung oder auch Bewegung fließen in ihre Veranstaltungen immer mit ein. Sie bilden eine Art Grundrauschen ihres Handelns und Lehrens. Auch das Thema Fermentation, das sie aktuell in ihren Kursen anbietet, kam durch ihr Gesundheitsstudium im Rahmen der Bachelorarbeit auf sie zu. Sie möchte ihren Teilnehmer*innen im theoretischen Teil ihrer Seminare zur Fermentation zunächst die Angst vor Bakterien nehmen und ihnen gleichzeitig die zentrale Funktion eines gesunden Darms voller „guter“ Bakterien für die eigene Gesundheit vermitteln. Verbunden hat die beiden Arbeitsbereiche Kräuterpädagogik und Fermentation für Victoria Lorenz die virtuelle Begegnung auf Instagram mit einem weiteren Vorbild: Pascal Baudar, ein kanadischer Fermentationsexperte, der ausschließlich mit Wildpflanzen arbeitet.

ÜBERALL DRAUSSEN, IN DER KÜCHE UND AUCH ONLINE.

Aktuell konzipiert und realisiert Victoria Lorenz ihre ersten Online-Kurse. Der Kern ihrer Arbeit sind nach wie vor Kräuterwanderungen und urbane Kräuterführungen – draußen und zu fast jeder Jahreszeit. Fermentationskurse bietet die Pflanzenexpertin teilweise zusammen mit Münchener Cafés an. Für größere Events mietet sie Event-Spaces an. In Zukunft hätte Victoria Lorenz gerne eine eigene Location, die gleichzeitig natur- und stadt-nah ist. Das sei allerdings bei den Münchener Mietpreisen bisher undenkbar, so die junge Kräuterpädagogin. Manchmal gibt sie auch Seminare in ihrer eigenen Küche, dann mit sehr eingeschränkter Teilnehmer*innenzahl.

Wichtig bei all ihren Arbeiten ist ihr, dass alles – von den Seminarunterlagen bis zu den Schneidebrettern, den Ingredienzen und den kulinarischen Kreationen – ökologisch UND ästhetisch auf hohem Niveau ist. „Das soll nicht so nach alten Büchern riechen“, sagt Victoria Lorenz und lächelt. Den kulinarischen Aspekt stellt sie bei ihren Kursen oftmals auch in den Vordergrund, da in ihrer Generation das Bedürfnis nach Heilkunde und Gesundheit noch nicht wirklich akut sei. Dieser jungen Zielgruppe vermittelt sie ihr Wissen unter dem Aspekt von Prävention und Genuss.

FEMALE MAKERS: Hagebutte im Stadtpark.

FEMALE MAKERS: Hagebutte im Stadtpark.

VILDVUCHS = NATURERLEBNISSE.

Der Kern von Victoria Lorenz´ Vermittlungsarbeit als Kräuterpädagogin ist, Situationen für Naturerleben zu schaffen und für ihre Teilnehmer*innen durch dieses direkte Erleben mit allen Sinnen wieder eine emotionale Verbindung zur Natur herzustellen. Sie möchte Impulse setzen, Natur wieder mehr wertzuschätzen – auch und besonders im Stadtraum. Victoria Lorenz möchte zeigen, dass wildes Kraut kein Unkraut ist und dass der Erhalt unserer Naturumgebungen ohne menschliche Unterstützung kaum mehr möglich ist.
Als Leitgedanke ihrer pädagogischen Arbeit nennt sie ein Zitat von David Attenborough, einem britischen Naturforscher des 20. Jahrhunderts: „No one will protect what they don´t care about and no one will care about what they have never experienced.“
Sie wünscht sich, dass ihre Seminar-Teilnehmer*innen am Tag nach den VILDVUCHS-Veranstaltungen mit anderen Augen durch die Welt gehen und die Natur neu sehen. Für Victoria Lorenz ist es zudem wichtig, den Teilnehmer*innen zu vermitteln, dass sie nicht auf dem Land wohnen müssen, um Naturerfahrungen zu vertiefen, sondern das auch in der Stadt funktioniert.

NACHHALTIGES KRÄUTER-SAMMELN.

Der Hinweis auf verantwortungsvolles, nachhaltiges Sammeln von Pflanzen steht bei Victoria Lorenz unter jedem Instagram-Post. Bei der Sammlung von Blüten ist das besonders wichtig, denn man benötigt nur sehr wenige Blüten, um daraus etwas Gutes herzustellen, so Victoria Lorenz. Wichtig ist der Kräuterexpertin zudem zu vermitteln, dass die Sammelwut aus Begeisterung, die sie auch aus ihren eigenen Anfängen kennt, nicht maßlos ausgelebt wird. Maßvolles Sammelverhalten zu lehren, ist ihr ein Herzensanliegen. „Nur so viel zu sammeln, dass die Pflanze nicht in ihrem Bestand gefährdet wird“, ist für Victoria Lorenz oberste Maxime. Die gesetzliche Sammelbeschränkung in Deutschland, die sogenannte „Handstrauß-Regelung“, setzt hier zudem klare Grenzen. Demnach darf auf öffentlichem Gelände zwar alles gesammelt werden, was nicht unter Naturschutz steht, aber nur so viel, wie in einer Hand gehalten werden kann.

VILDVUCHS JETZT + IN ZUKUNFT.

In ihrem aktuellen Beruf als Kräuterpädagogin kann Victoria Lorenz all ihre Talente einbringen: „Ich liebe das Gestalten, ich liebe Layout, ich liebe es Menschen zu sehen und ihnen etwas beizubringen, ich liebe es in der Natur zu sein und ich liebe es vor allem auch zu essen.“ Für sie ist das Teilen ihres Wissens der Motor, der Sinn ihrer Arbeit. „Ich fände es fatal für alle und mich, wenn ich dieses Wissen nicht teilen würde“, so Victoria Lorenz.

Die Inspiration für ihre Arbeit sind Bücher, andere Expert*innen der Szene, mit denen sie über Social-Media-Kanäle vernetzt ist, und immer wieder auch ihr eigenes Naturerleben.

Eine Firma möchte Victoria Lorenz aktuell nicht gründen. Für die Zukunft von VILDVUCHS stellt sie sich den Aufbau einer großen Online-Akademie vor, in der alle thematischen Felder vertreten sind, die mit Gesundheit, Natur und Kräuterpädagogik zu tun haben.

MEET-UP – HERB-UP.

„Die Szene der Menschen, die mit Kräutern arbeiten, Wanderungen, Events, Elixiere etc. anbieten, ist nicht riesig, wächst aber sehr, sehr schnell. Vieles, das aufpoppt, verschwindet aber auch nach kurzer Zeit wieder“, so die Kräuterpädagogin. Weitere 30 thematische Accounts auf Instagram findet Victoria Lorenz wirklich fundiert und inspirierend. Mit diesen ist sie eng vernetzt, tauscht sich aus. Zusammen mit einer Kräuter-Spezialistin aus Köln organisiert Victoria Lorenz aktuell ein Treffen mit 13 Macher*innen der bekanntesten Wildkräuter-Instagram-Accounts aus Österreich und Deutschland, ein „Herb-up“, wie sie es nennen. Die Teilnehmer*innen wollen neben dem allgemeinen Austausch ausloten, ob und wenn ja, wie sie ggf. zukünftig zusammenarbeiten. Vielleicht eine Plattform gründen? Ein gemeinsames Buch entwickeln? Weitere thematische Treffen organisieren? Gemeinsam Veranstaltungen anbieten? Aktuell ist noch alles offen.

Es bleibt auf jeden Fall sehr, sehr spannend, die Arbeiten dieser engagierten, leidenschaftlichen Kräuterpädagogin auch zukünftig zu verfolgen (#VILDVUCHS auf Instagram) und sich von ihren kreativen Veranstaltungen sowie ihrem fundierten Pflanzenwissen inspirieren zu lassen. Analog und digital.

Kräuter-Rezept von Victoria Lorenz:
BRENNNESSEL-ENERGIEBÄLLCHEN.

„Ende des Sommers bis in den Herbst hinein kann man von der Brennnessel kleine Brennnesselsamen sammeln. Diese stecken voller Vitamine, Mineralien und Proteine. Ein richtiges heimisches Superfood. Die Brennnesselsamen kann man frisch oder getrocknet für dieses Rezept benutzen. Wer keine Zeit zum Sammeln hat, kann sie auch in guten Kräuterfachgeschäften finden.

– 150 g gemahlene Mandeln
– 185 g Datteln
– 2 EL Orangensaft
– 2 EL abgeriebene Orangenschalen
– 1-2 EL Brennnesselpulver
– 3 EL Brennnesselsamen
– Noch mehr Brennnesselsamen zum Rollen
– 1/2 TL Vanillepulver
– 2-3 EL Kakaopulver

Alle Zutaten, außer die extra Brennnesselsamen in einem Mixer mixen. Zu Bällchen rollen und in den Brennnesselsamen wälzen. Die Bällchen können ca. 1 Woche im Kühlschrank aufgehoben werden.”

www.vildvuchs.de

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©Monika Ebert für Bilder + Texte